Mashup (Musik)


Mashup (auch: Bastard Pop oder Bootsy genannt) ist ein Mitte der 1990er Jahre entstandenes musikalisches Phänomen, bei dem durch Sampling eine spezifische Form der Musikcollage aus Tonaufnahmen von Stücken verschiedener anderer Interpreten zusammengemischt wird.




Inhaltsverzeichnis





  • 1 Formen


  • 2 Geschichte


  • 3 Beispiele für legale kommerzielle Mashups


  • 4 Literatur


  • 5 Verwandte Themen


  • 6 Weblinks


  • 7 Einzelnachweise




Formen |


In der am meisten genutzten Grundform des Mashup-Genres, auch „A vs. B“ genannt, werden die Gesangspuren eines Titels und die Instrumentalspuren eines anderen Titels verwendet. Klassisches Musterbeispiel für diese Grundform ist das Mashup „A Stroke of Genie-us“ des DJs Roy Kerr alias Freelance Hellraiser aus dem Jahr 2001, eine Verbindung von Christina Aguilera und The Strokes, mit dem das Mashup erstmals einem breiteren Publikum bekannt wurde.[1] In den meisten Mashups dieser Grundform werden jedoch Gesangs- und Instrumentalpartien beider Vorlagen weiterverarbeitet – wodurch in Mashups regelmäßig nicht nur Musik, sondern auch Liedtexte rekontextualisiert werden.[2]


Der Reiz des Mashups besteht dabei darin, dass meist Titel zu einem neuen gemixt werden, die unterschiedlichen Stilen, Genres, Milieus, Ensembleformen, Images usw. angehören, aber trotz dieser Distanz überraschend effektiv miteinander musikalisch funktionieren. Im Mashup arbeitet man mit großdimensionierten Samples, die ganze Formteile wie Strophen und Refrains aus ihren Vorlagen übernehmen und miteinander verbinden. Mashups sind hierdurch Studien über Genregrenzen und was diese ausmacht bzw. gerade nicht. Sie leben von einer Balance zwischen dem Aufdecken musikalischer Kongruenz zwischen den Vorlagen durch ihre Kombination und der gleichzeitigen kontextuellen Distanz zwischen diesen Vorlagen, aufgrund derer man nicht damit rechnet, dass ein solch effektives Funktionieren möglich ist.[3] In anschaulichen Beispielen kombiniert der australische Mashup-DJ Wax Audio z. B. Metallica und Stevie Wonder oder Pink Floyd und Bee Gees.[4] Bevorzugte Quellen der Künstler sind dabei der Glam Rock der 1970er, New Wave der 1980er und One-Hit-Wonder der 1990er Jahre. Diese Ohrwürmer werden bisweilen auch mit einem aktuellen, tanzbaren Titel aus den Charts gemischt.


Die ungenehmigte Verwendung fremder Tonaufnahmen stellt in der Größenordnung, wie es in der Grundform des Mashups geschieht, nach derzeitiger[5] Rechtslage regelmäßig eine Verletzung der Rechte der Urheber (Komponisten und Textdichter der Vorlagen), der Leistungsschutzrechte der auf den Tonaufnahmen der Vorlagen zu hörenden Musiker und des Tonträgerherstellerrechts dar.[6] Anders als bei Coverversionen fehlt es beim Sampling zudem an einem über Verwertungsgesellschaften wie die GEMA standardisierten, rechtlich sicheren, jedermann gleich behandelnden und ökonomisch ausgewogenen, sprich: realistischen Weg, Sampling-Lizenzen zu erwerben.


Der Begriffsgebrauch ist ungenau und instabil. Der Ausdruck Mashup wird z. B. auch für Remixformen verwendet, in denen teilweise Microsampling genutzt wird, aber am Aufeinanderprallen zweier Vorlagen festgehalten wird. Das klassische Beispiel hierfür ist das Grey Album (2003) von DJ Danger Mouse, eine Fusion der Raps vom Black Album Jay Z und komplex rearrangiertem Material vom sogenannten White Album der Beatles. Und er wird für Arbeiten genutzt, denen es nicht mehr um das großflächige Aufeinanderprallen zweier Künstler geht, sondern um eine mittels Sampling erzeugte, tanzbare Collagekunst. Der international bekannteste Vertreter dieser Mashup-Richtung ist Girl Talk.


Nicht selten werden zugleich aufwendige Bastard-Pop-Videos erstellt und auf verschiedenen Videoportalen veröffentlicht, deren Grundlage meist Musikvideo-Material zu den im Mashup verarbeiteten Vorlagen ist. Foto-Mashups begleiten Werke des Genres ebenso wie Mashups aus den Titeln der Vorlagen als Titel des Mashups. Werden Vokalpartien mehrerer Vorlagen verarbeitet, ergeben sich zudem neue textliche Interaktionen, die oft wenig Sinn ergeben, manchmal aber im Zusammenspiel auch ganz neue Bedeutungen kreieren.[7]


Der Begriff Mashup wird darüber hinaus ebenso im Bereich von Software- und Websiteprogrammierung benutzt wie er auf Gebieten wie Fotografie oder Literatur in Erscheinung tritt. Selbst in so weit entfernten Bereichen wie Unternehmensberatung und Theologie findet man ihn.[8] Das Mashup in der Musik ist daher schon begrifflich Teil einer viel größeren Kultur der Digitalität (Felix Stalder), zu deren Kernbestandteilen Referenzialität gehört, das heißt die adaptive Arbeit mit Material Dritter.[9]


Jenseits des hochpolitisierten Urheberrechtsdiskurses ist die Motivation für Mashups im Allgemeinen weniger politischer oder gesellschaftskritischer Natur. Ausnahmen sind globalisierungskritische Mestizo- und Bastardsound-Bewegungen, denen Künstler wie Manu Chao, Los de Abajo, Ojos de brujos, Amparanoia oder Célia Mara zuzuordnen sind.



Geschichte |


Der Vater des Bastard Pops ist vermutlich Mark Gunderson und The Evolution Control Committee. Er veröffentlichte 1995 die erste Bastard-Pop-Single mit dem Titel The Whipped Cream Mixes, auf der er Public Enemy mit Herb Alpert zusammenmischte. Ein Beispiel für ein deutschsprachiges Bootleg ist ein Stück von Bumtschak, in dem Blumfelds 1000 Tränen tief mit Music von Madonna gemixt wird.


Da die neu entstandenen Stücke das Urheberrecht der Ausgangsstücke missachteten – kein Remix war von den Rechteinhabern genehmigt – wurde Bastard Pop zunächst auf illegalen White-Label-Vinyls nur unter dem Ladentisch verkauft. Mit dem Siegeszug der Internet-Tauschbörsen Anfang der 2000er Jahre kam es zu einer Bastard-Pop-Welle. Teilweise namhafte DJs veröffentlichten nun – jedoch stets unter Pseudonym – ihre eigenen Bastard-Pop-Stücke. Beim deutschen Ableger von MTV wurde die Sendung „Mash“ gestartet, die nur Mash-up-Mixe mit passenden Musikvideos spielte. Bastard Pop war somit zum Marketinginstrument der Industrie geworden, gegen die er sich ursprünglich richtete.


Die belgischen Brüder Stephen und David Dewaele von der Indiepopgruppe Soulwax veröffentlichten ab 2001 mehrere lizenzierte Bastard-Pop-CDs unter dem Projektnamen „Too Many DJs“. Anfang 2005 kam das kommerzielle Mashup Numb/Encore von Jay Z und Linkin Park auf den Markt und konnte sich mehrere Wochen auf den vorderen Plätzen der Charts halten. Typisch für die Erkennung eines Mashups ist das Kürzel „vs.“ (versus) zwischen den Interpretennamen.


Brian Burton alias DJ Danger Mouse mischte Anfang 2003 Tracks von Jay-Zs Black Album (u. a. den oben bereits erwähnten Track Encore) mit Stücken vom White Album der Beatles. Die Verbreitung des sinnigerweise The Grey Album genannten Werkes – vor allem im Internet – führte zu einer breiten Diskussion über das Copyright und die Remixkultur im Frühjahr 2004.[10]


Im Jahr 2007 wurde das Punk/Emo/Hardcore-Punk-Mashup-Album Incorporated des Produzentenduos The Legion of Doom veröffentlicht, nachdem es schon 2006 in Tauschbörsen zirkulierte.


Kommerzielle Mashup-Mixe werden u. a. von den Cut-Up Boys unter dem Titel Mashup-Mix jährlich über das Label Ministry of Sound zum legalen Kauf veröffentlicht, ebenso Alben des Remix Duos „DJs from Mars“, die ebenfalls legale Remixe und Mashups im Electrostil unters Volk bringen.



Beispiele für legale kommerzielle Mashups |



  • Alex Gaudino – Destination Calabria (Mashup aus Crystal Waters’ Destination Unknown und dem Track Calabria von Rune RK)


  • Chicane vs. Natasha Bedingfield – Bruised Water (Mashup aus Natasha Bedingfields I Bruise Easily und Chicanes Saltwater)


  • Craig David vs. Bob Sinclar – Hot Stuff vs. World Hold On (Vocals: Craig Davids Hot Stuff – Instrumental: World Hold On von Bob Sinclar)


  • David Guetta vs. The Egg – Love Don’t Let Me Go (Walking Away) (Mashup aus David Guettas Love Don’t Let Me Go und Tocadiscos Remix von The Eggs Walking Away)


  • Leftfield vs. Fatboy Slim – Planet of the Phatbird (Mashup aus Sunset (Bird of Prey) von Fatboy Slim und Phat Planet von Leftfield)


  • LMC – Take Me to the Clouds Above (Mashup aus U2s With or Without You und Whitney Houstons How Will I Know)


  • Mousse T. vs. The Dandy Warhols – Horny As A Dandy (Mashup aus Mousse Ts Horny und Bohemian Like You von The Dandy Warhols)


  • Mylo vs. Miami Sound Machine – Doctor Pressure (Mashup aus Mylos Drop The Pressure und Gloria Estefans Dr. Beat)


  • Royal Gigolos – Girls Just Wanna Dance (Mashup aus Whitney Houstons I Wanna Dance with Somebody (Who Loves Me) und Cyndi Laupers Girls Just Want to Have Fun)


Literatur |


(Auswahl)
  • Frédéric Döhl: Mashup in der Musik. Fremdreferenzielles Komponieren, Sound Sampling und Urheberrecht. transcript: Bielefeld 2016.

  • Felix Stalder: Kultur der Digitalität. suhrkamp: Berlin 2016.

  • Frédéric Döhl: Ästhetische und juristische Grauzone. Zum Mashup in der Musik am Beispiel des Grey Album. In: Mashups. Neue Praktiken und Ästhetiken in populären Medienkulturen, hrsg. von Florian Mundhenke/Fernando Ramos Arenas/Thomas Wilke, Springer VS: Wiesbaden 2014, S. 131–149.

  • Florian Mundhenke/Fernando Ramos Arenas/Thomas Wilke (Hrsg.): Mashups. Neue Praktiken und Ästhetiken in populären Medienkulturen. Springer VS: Wiesbaden 2014.

  • Erik Gelke: Mashups im Urheberrecht, Nomos: Baden-Baden 2013.

  • Christine Boone: Mashing: Toward a Typology of Recycled Music. In: Music Theory Online 19/3 (2013), S. 1–14.

  • Ragnild Brøvig-Hansen/Paul Harkins: Contextual Incongruity and Musical Congruity: The Aesthetics and Humor of Mash-Ups. In: Popular Music 31/1 (2012), S. 87–104.

  • Dirk von Gehlen: Mashup. Lob der Kopie. Suhrkamp: Berlin 2011.

  • Liam Alan Maloy: Stayin’ Alive in Da Club: The Illegality and Hyperreality of Mashups. In: IASPM@Journal 1/2 (2010), S. 1–20.

  • Liam McGranahan: Mashnography: Creativity, Consumption, and Copyright in the Mashup Community. Dissertation, Brown University: Providence/RI 2010.

  • Aram Sinnreich: Mashed Up: Music, Technology, and the Rise of Configurable Culture. University of Massachusetts Press: Amherst/MA 2010.

  • Stefan Sonvilla-Weiss (Hrsg.): Mashup Cultures. Springer VS: Wien/New York 2010.

  • David J. Gunkel: Rethinking the Digital Remix: Mash-ups and the Metaphysics of Sound Recording. In: Popular Music and Society 31/4 (2008), S. 489–510.

  • Michael Serazio: The Apolitical Irony of Generation Mash-Up: A Cultural Case Study in Popular Music. In: Popular Music and Society 31/1 (2008), S. 79–94.

  • John Shiga: Copy-and-Persist: The Logic of Mash-Up Culture. In: Critical Studies in Media Communication 24/2 (2007), S. 93–114.

  • Eckart Voigts: Memes and Recombinant Appropriation: Remix, Mashup, Parody. in Thomas Leitch (ed.): Oxford Handbook of Adaptation Studies. Oxford: OUP, 2017.

  • Eckart Voigts: "Mashup und intertextuelle Hermeneutik des Alltagslebens.Zu Präsenz und Performanz des digitalen Remix. In: MEDIENwissenschaft, Heft 2/15. Schüren, Marburg 2015.


Verwandte Themen |


  • In der klassischen Musik existieren auch Formen der Vermischung unterschiedlicher Werke, z. B. das Quodlibet.

  • Eine Aneinanderreihung verschiedener Musikstücke (oder Teilen daraus) bezeichnet man als Medley bzw. Megamix.

  • Die variable künstlerische Neu-Interpretation eines Songs bezeichnet man als Cover.

  • Die variable künstlerische Neu-Interpretation der Tonaufnahme eines Songs bezeichnet man als Remix.

  • Mashups zählen zudem oft zu den sogenannten Bootlegs, kurz auch „Booties“ genannt, von denen manche auf Vinyl als White Label erschienen.


Weblinks |



  • Interview mit Shir Khan über Bastard Pop und Mashup. (englisch)

  • Interviews mit Ben Stilller, einem Mashup-Künstler aus Deutschland.

  • Weblinks über weltweite Mashup-Partys

  • Ranking der erfolgreichsten Mashup-Videos


Einzelnachweise |



  1. Vgl. [1]


  2. Vgl. Frédéric Döhl: Mashup in der Musik. Fremdreferenzielles Komponieren, Sound Sampling und Urheberrecht. transcript: Bielefeld 2016, S. 79–130; Christine Boone: Mashing: Toward a Typology of Recycled Music. In: Music Theory Online 19/3 (2013), S. 1–14; Ragnild Brøvig-Hansen/Paul Harkins: Contextual Incongruity and Musical Congruity: The Aesthetics and Humor of Mash-Ups. In: Popular Music 31/1 (2012), S. 87–104.


  3. Vgl. Ragnild Brøvig-Hansen/Paul Harkins: Contextual Incongruity and Musical Congruity: The Aesthetics and Humor of Mash-Ups. In: Popular Music 31/1 (2012), S. 87–104.


  4. Vgl. [2]; [3]


  5. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtslage nach dem Metall-auf-Metall-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Mai 2016 entwickeln wird: [4] Der weitere Verfahrensverlauf mag nun auch für das Mashup Folgen entfalten, insbesondere wenn die Auseinandersetzung den Europäischen Gerichtshof erreicht, auch wenn es beim dortigen Verfahrensgegenstand um Mashup-untypisches Microsampling geht, vgl. Frédéric Döhl: Durfte Moses Pelham zwei Sekunden Kraftwerk kopieren? In: Der Tagesspiegel, 31. Mai 2016.


  6. Frédéric Döhl: Durfte Moses Pelham zwei Sekunden Kraftwerk kopieren? In: Der Tagesspiegel, 31. Mai 2016; Frédéric Döhl: Mashup in der Musik. Fremdreferenzielles Komponieren, Sound Sampling und Urheberrecht. transcript: Bielefeld 2016, S. 175–244; Erik Gelke: Mashups im Urheberrecht, Baden-Baden 2013, S. 99–150; Frédéric Döhl: Ästhetische und juristische Grauzone. Zum Mashup in der Musik am Beispiel des Grey Album. In: Mashups. Neue Praktiken und Ästhetiken in populären Medienkulturen, hrsgg. von Florian Mundhenke/Fernando Ramos Arenas/Thomas Wilke, Springer VS: Wiesbaden 2014, S. 131–149.


  7. Frédéric Döhl: Mashup in der Musik. Fremdreferenzielles Komponieren, Sound Sampling und Urheberrecht. transcript: Bielefeld 2016, S. 170–173.


  8. Frédéric Döhl: Mashup in der Musik. Fremdreferenzielles Komponieren, Sound Sampling und Urheberrecht. transcript: Bielefeld 2016, S. 172. Vgl. einführend z. B. Florian Mundhenke/Fernando Ramos Arenas/Thomas Wilke (Hrsg.): Mashups. Neue Praktiken und Ästhetiken in populären Medienkulturen. Springer VS: Wiesbaden 2014; Aram Sinnreich: Mashed Up: Music, Technology, and the Rise of Configurable Culture, University of Massachusetts Press: Amherst/MA 2010; Stefan Sonvilla-Weiss (Hrsg.): Mashup Cultures. Springer VS: Wien/New York 2010.


  9. Felix Stalder: Kultur der Digitalität. suhrkamp: Berlin 2016, S. 96–128.


  10. Janko Röttgers: Tag der Grauzonen. In: Telepolis


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