Miliz (Volksheer)


Als Milizarmee oder Volksheer werden Streitkräfte oder Teile von Streitkräften bezeichnet, die zum größten Teil oder vollständig erst im Bedarfsfall aus Wehrpflichtigen aufgestellt werden. Milizarmeen haben im Frieden meist nur sehr schwache Stäbe aus Rahmen- und Ausbildungspersonal. Ihr Material wird in Zeughäusern gelagert. Die Miliz steht somit im Gegensatz zu stehenden Streitkräften, die bereits im Frieden personell und materiell stark präsent sind. Ein Milizangehöriger wird Milizionär oder Milizsoldat genannt. Das klassische Beispiel eines Milizheeres ist die Schweizer Armee.




Inhaltsverzeichnis





  • 1 Geschichte und Definition


  • 2 Siehe auch


  • 3 Literatur


  • 4 Weblinks




Geschichte und Definition |


Bis zur frühen Neuzeit bestanden viele Heere aus angeworbenen oder berufsmäßigen Soldaten bzw. Söldnern – mit Ausnahme der Bürgerheere der Antike. Größere stehende Heere wurden seit dem 17. Jahrhundert gebildet.
Miliz (französisch aus lateinisch) das im 19. Jahrhundert eine Bezeichnung für Bürger- oder Volksheere war, im Gegensatz zum regulären stehenden Heer. Seit dem 20. Jahrhundert ist Miliz eine Bezeichnung einerseits für Polizei- und paramilitärische Verbände, andererseits für eine besondere Organisationsform der Landstreitkräfte (Milizheer), die gekennzeichnet ist durch einen im Frieden geringen Präsenzgrad der Truppen sowie durch einen sehr kurzen Grundwehrdienst und zahlreiche auf diesem aufbauende Wehrübungen. Eine Armee kann entweder fast vollständig (zum Beispiel wie in der Schweiz) oder teilweise als Ergänzung zur stehenden Truppe nach dem Milizprinzip aufgebaut sein. Die Rekrutierung der Milizionäre kann auf der Grundlage der Wehrpflicht erfolgen (z. B. wie in der Schweiz), ist aber auch auf freiwilliger Basis (wie in der Nationalgarde in den USA) möglich. Die deutschen Landwehren im 19. Jahrhundert zum Beispiel wurden auch als Landmiliz, Bürgergarde oder Landsturm bezeichnet. Milizcharakter hatte auch der deutsche Volkssturm in der Endphase des Zweiten Weltkrieges.


Mit Anfängen seit der Französischen Revolution setzte sich die Wehrpflicht ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Europa und dann weltweit durch. In Deutschland geht die Tradition der allgemeinen Wehrpflicht bis auf die Preußischen Reformen zurück. Während stehende Streitkräfte ihre Wehrpflichtigen zu einem mitunter mehrere Jahre dauernden Wehrdienst einziehen, sind für Milizarmeen wiederholte Ausbildungsabschnitte wesentlich kürzerer Dauer (Wochen bis wenige Monate) kennzeichnend. Diese Unterschiede spiegeln die jeweilige Militärpolitik wider: Während Großmächte oft anstreben, Streitkräfte als ein möglichst vielseitig verwendbares machtpolitisches Instrument zu schaffen, auch geeignet für Abenteuer und Angriffskriege, ist die Militärpolitik vieler kleinerer Staaten defensiv bzw. reaktiv und von Sparsamkeit diktiert. Man will das Zivilleben von Belastungen durch den Militärdienst möglichst freihalten. Ebenso kann Fehlentwicklungen wie Militarismus oder der Bildung eines Militärs als Staat im Staate durch eine Milizkonzeption vorgebeugt werden. Im 19. Jahrhundert wurde die mit der Wehrpflicht verbundene Kasernierung aus moralischen Gründen von katholischen Stimmen abgelehnt, die deutsche Sozialdemokratie sprach sich lange Zeit für ein Volksheer aus und stand der auf die Monarchie eingeschworenen herkömmlichen Kaderarmee kritisch gegenüber.


Die linke Arbeiterbewegung bevorzugte zu allen Zeiten die Milizkonzeption für den Fall des Aufstandes (Revolution) oder der Verteidigung bestehender Arbeiter- und Bauernstaaten. Die Gründe waren:


  • Erstens war der politische Einfluss der herrschenden Ordnung auf die bestehenden (professionellen) Armeen hoch, die integraler Bestandteil der gültigen Ordnung waren. Die Bildung eines alternativen militärischen Potenzials musste fast vollständig aus der Bevölkerung rekrutiert werden und führte durch allgemeine Bewaffnung und kürzeren Ausbildungszeiten natürlicherweise zu Milizen.

  • Zweitens sollte die politische Kontrolle der demokratischen Institutionen (Arbeiter- und Soldatenrat), unabhängig von einer politisch-dominierenden Partei auf die militärischen Verbände, gestärkt bleiben und die Räterepublik schützen bzw. die Machtposition der Bevölkerung (politische Revolution), im Falle einer bürokratischen Entwicklung und politischen Instrumentalisierung, aufrechterhalten.

Die erste Miliz im modernen Sinne entstand am Ende des Deutsch-Französischen Krieges, als sich am 18. März 1871 die Pariser Bevölkerung zusammen mit der republikanisch orientierten Nationalgarde gegen die Entwaffnung durch den mit den Deutschen kollaborierenden Kaiser Napoleon III. und seiner konservativ-royalistischen Zentralregierung unter Adolphe Thiers stellte, die Volksbewaffnung ausrief, Stellungen in Paris befestigte und Neuwahlen ausrief. Das war die Geburtsstunde der kurzlebigen Pariser Kommune.


In den Revolutionen 1917–1923 bestanden die militärischen Kräfte der Aufständischen aus Milizen und Verbänden bewaffneter Arbeiter:



  • Rote Garden (1917/1918), Grundlage der 1918 gegründeten Rote Armee


  • Rote Ruhrarmee (1920), Reaktion auf den Kapp-Putsch.

Ausnahmen bildeten meuternde, desertierende oder zum Feind übergelaufene reguläre Einheiten wie die Kronstädter Matrosen und Festungsgarnison oder die Volksmarinedivision.


In der Sowjetunion wurde die Milizkonzeption bzw. die Territorialarmee spätestens mit der Streitkräftereform 1935 wieder abgeschafft, die allgemeine Bewaffnung verboten und schon aus der Zarenzeit bekannte Offiziersprivilegien wieder eingeführt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden im Zuge der Block-Konfrontation und angesichts der Kriegsgefahr im Ostblock systematisch stehende Armeen mit einer zusätzlichen Wehrpflichtigenreserve aufgebaut. Das Milizsystem bestand jedoch teilweise fort, beispielsweise in Form von Arbeitermilizen in der DDR wie den Betriebskampfgruppen (1952–1990) oder in der Volksrepublik Polen (1944–1990) in der Bürgermiliz genannten Polizei.


Die fortschreitende Technisierung des Kriegshandwerks, die Verteuerung der Waffensysteme und die Unpopularität des Wehrdiensts haben zur Zeit des Kalten Krieges in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einige westliche Staaten veranlasst, wieder zu Berufsarmeen überzugehen. Bekannteste Beispiele sind Großbritannien 1961 und die USA 1973. Dieser Trend verstärkte sich nach dem Ende der Blockkonfrontation. Nahezu sämtliche größeren Staaten unterhalten stehende Armeen, während das Milizsystem traditionell von einer Reihe kleinerer Länder und Kleinstaaten bevorzugt wird.



Siehe auch |


  • Fencibles

  • Milizsystem

  • Landwehr (Militär)

  • Volkssturm

  • Volkswehr

  • Wehrpflicht

  • Wehrbauer

  • Internationale Milizionäre


Literatur |



  • Karl W. Haltiner: Milizarmee – Bürgerleitbild oder angeschlagenes Ideal? Eine soziologische Untersuchung über die Auswirkungen des Wertwandels auf das Verhältnis Gesellschaft – Armee in der Schweiz. Huber, Frauenfeld 1985, ISBN 3-7193-0960-6.

  • Karl W. Haltiner, Andreas Kühner (Hrsg.): Wehrpflicht und Miliz – Ende einer Epoche? Der europäische Streitkräftewandel und die Schweizer Miliz (= Militär und Sozialwissenschaften. Band 25). Nomos, Baden-Baden 1999, ISBN 3-7890-6104-2.

  • Dominik Nagl: No Part of the Mother Country, But Distinct Dominions. Rechtstransfer, Staatsbildung und Governance in England, Massachusetts und South Carolina, 1630 - 1769. LIT, 2013, S. 118–126, 466–497. ISBN 978-3-643-11817-2.online


Weblinks |



  • Literatur über Miliz im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek

  • The Free Dictionary – Miliz

  • Wissen.de – Geschichte – Miliz








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