Umgangssprache




Dieser Artikel oder Absatz stellt die Situation in Deutschland, Österreich und der Schweiz dar. Hilf mit, die Situation in anderen Staaten zu schildern.

Die Umgangssprache, auch Alltagssprache, ist – im Gegensatz zur Standardsprache und auch zur Fachsprache – die Sprache, die im täglichen Umgang benutzt wird, aber keinem spezifischen Soziolekt entspricht. Ein Dialekt kann als Umgangssprache betrachtet werden, oder diese nimmt eine Zwischenstellung zwischen Dialekt und Standardsprache ein. Der Begriff ist nur unscharf zu den Begriffen Gemeinsprache und Gebrauchssprache abgrenzbar. In Bezug auf bestimmte Situationen stellen Verkehrssprachen die Umgangssprache dar.


Der Begriff Umgangssprache hat auch die Bedeutung „nachlässige, saloppe bis derbe Ausdrucksweise“. Dabei wird vor allem nach Sprachstil unterschieden und die Umgangssprache in Gegensatz zu einer gepflegten Ausdrucksweise gesetzt. Es wird hingegen nicht berücksichtigt, ob die Ausdrucksweise einem spezifischen Soziolekt entspricht oder nicht. Kennzeichen der Umgangssprache in dieser Bedeutung sind Kolloquialismen.


Die Umgangssprache im ersten Sinn wird geprägt durch regionale und soziale Gegebenheiten wie dem Bildungs­stand und dem sozialen Milieu der Sprechenden oder der Situation. Mitunter werden umgangssprachliche Ausdrucksformen auch synonym als „volksmundlich“ (in der Bedeutung von „Volksmund“) bezeichnet.




Inhaltsverzeichnis





  • 1 Allgemeines


  • 2 Abgrenzungen

    • 2.1 Fachsprache


    • 2.2 Hochsprache


    • 2.3 Regionalsprachen, Dialekte und Mundarten



  • 3 Umgangssprache und ständiger Sprachwandel

    • 3.1 Fallbeispiel niederländische Standardsprache



  • 4 Literatur


  • 5 Weblinks


  • 6 Quellen




Allgemeines |


Der Begriff „Umgangssprache“ wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Joachim Heinrich Campe in die deutsche Philologie eingeführt.[1]


Im deutschen Sprachraum gibt es keine standardisierte Hochsprache, die als Umgangssprache dient. Die lang andauernde historische Vielfalt regionaler Herrschaftsverhältnisse hat ihre Spuren in einem stark heterogenen (nicht standardisierten) umgangssprachlichen Sprechverhalten hinterlassen.


Weder ist die Hochsprache verbindlich festgelegt noch sind umgangssprachliche Abweichungen hiervon verbindlich abgegrenzt. Es gibt keine staatlichen Institutionen der deutschsprachigen Länder, die dafür zuständig sein könnten. Der Normierung der hochdeutschen Standardsprache (Standarddeutsch) hat sich hier aber der Verlag Brockhaus verschrieben, der in Zusammenarbeit mit staatlichen und nichtstaatlichen Stellen unter dem Markennamen Duden Wörterbücher herausgibt. Sie erscheinen seit dem späten 19. Jahrhundert. Die Orientierung an Schreibformen des Dudens, beispielsweise für den Schulunterricht oder in den Druckmedien, ist eine freiwillige Entscheidung der Kultusminister der Länder, der sonstigen staatlichen Behörden und der Verlagshäuser (vgl. Rechtschreibreform). Darum kann nicht von einer verbindlichen Norm in der Hochsprache gegenüber einer fehlenden Norm in der Umgangssprache gesprochen werden.


Auch die nicht standardisierte Umgangssprache unterliegt einer gewissen Einheitlichkeit, die dadurch entsteht, dass sich ihre Sprecher an anderen Sprechern orientieren und sich anpassen. Im Unterschied zur hochdeutschen Standardsprache, bei der die schriftliche Orientierung meist an Wörterbüchern erfolgt, ist die vereinheitlichende Orientierung der verschriftlichten Umgangssprache diffus, wechselhaft und oft nicht eindeutig zu ermitteln. Diese Unschärfe ist jedoch gleichzeitig die Quelle für ihren lebendigen Wortreichtum, der besonders für die Fortentwicklung der Standardsprache wichtig ist.


In der öffentlichen Wahrnehmung nimmt man öfter eine für die Sprachentwicklung als charismatisch geltende Sprachform als Ausgangsmaterial für die später sogenannten Hoch- und Umgangssprachen an. In Deutschland wird dies der Bibel­übersetzung Martin Luthers nachgesagt, in Großbritannien dem Englisch des Königshauses, in Frankreich der Umgangssprache der Region von Paris, in Russland dem Werk des Nationaldichters Alexander Sergejewitsch Puschkin.


In der Philosophie gilt nach einem Ausspruch von Karl-Otto Apel die Umgangssprache als „letzte Metasprache“ und als solche notwendig für die Metakommunikation,[2] weil man ihr den geringsten Abstand zum individuellen Bewusstsein (im Sinne einer lingua mentis) unterstellt.



Abgrenzungen |


Die Umgangssprache unterscheidet sich von der gehobenen Sprache, von öffentlicher Rede, Drama, Gedicht, aber auch dem Lexikon­artikel sowie der Zwischenschicht von populärer gehobener Umgangssprache (Essay, Zeitungs­artikel, Bildungssprache Rundfunk- oder Fernsehsprache beziehungsweise „Fernsehdeutsch“). Dabei gilt das Primat der gesprochenen Sprache, d. h., Neubildungen und Feststellen der Korrektheit finden zunächst in konkreten Sprechsituationen Akzeptanz, die Verschriftlichung erfolgt im Allgemeinen mit einem gewissen Abstand.



Fachsprache |



Diskrepanzen zwischen der Umgangssprache und Fachsprachen sind nicht einheitlich. Sie sind vielmehr situations- und kontextabhängig. Es gibt unzweideutige, klar definierte Unterschiede, wegen unterschiedlicher Werte zwischen bestimmten Berufsgruppenangehörigen und Laien: Das Auseinanderklaffen heißt abwertend auch déformation professionnelle (etwa: „Fachidiotie“). Beispielsweise ist ein medizinischer Befund für die Fachperson „negativ“, wenn er eine bestimmte Diagnose ausschließt, der Laie hört aber die umgangssprachliche Bedeutung von „negativ“(= schlecht, unerwünscht) und vermutet, dass eine Erkrankung festgestellt wurde.



Hochsprache |



Der Prozess der Bildung, Fortentwicklung und Pflege einer Hochsprache beruht heutzutage in vielen Ländern auf einer ständigen Beobachtung der lebendigen Umgangssprache durch kulturelle Institutionen. Diese haben sich der Aufgabe selbst verschrieben, z. B. der Dudenverlag, oder sind staatlicherseits beauftragt, z. B. Kulturinstitute wie die Académie française oder die Accademia della Crusca. Für das Englische fehlt eine vergleichbare Einrichtung, abgesehen von einer gewissen Autorität der Ausdrucksweisen des britischen Königshauses oder von Absolventen der namhaften Universitäten.


Je nach nationaler Geschichte entwickelten sich Schrift- und Hochsprachen in den modernen Staaten höchst verschieden. Dementsprechend unterscheiden sich auch die Bewertung des Stellenwerts der Umgangssprache und der Einfluss der für die Gestaltung der Hochsprache zuständigen Institutionen.



Regionalsprachen, Dialekte und Mundarten |



Die gesteigerte Mobilität und die Massenmedien schmälern die Zahl der Sprecher von Mundarten und Dialekte kontinuierlich. Zugleich nimmt der Regionalcharakter umgangssprachlicher Elemente ab, d. h., die Umgangssprache wird standardisiert.



Umgangssprache und ständiger Sprachwandel |


Höhere Mobilität, Fremdenverkehr, Massenmedien, EDV, U-Musik und anderes beschleunigen heute die alltägliche Sprachentwicklung. Andererseits verlangsamen normierende Wirkungen des Fernsehens und aufgelockerte Dialektgrenzen den Wandel auch etwas.


Ohnehin lehnt sich die formelle Beschreibung einer Sprache an die Umgangssprache an. Die Hochsprache nimmt Elemente aus der Umgangssprache auf und verändert ihren Sprachgebrauch gegebenenfalls mit ihr, meist mit einer gewissen Verzögerung und nur zu einem geringen Teil. Anhand der lexischen Unterschiede zwischen beiden Sprachformen lassen sich oft Regeln der Entstehung von Wörtern gut beobachten, zum Beispiel wenn aus dem deutschen Wort „Lokomotive“ auch in der Schriftsprache allmählich die „Lok“ geworden ist. Dies ist zugleich ein Beispiel dafür, dass diese Art des Sprachwandels die Sprache unsystematischer machen kann, denn aussprachegerecht wäre die Schreibung „Lock“ naheliegender.


Stets prägen insbesondere Jugendsprache und andere Szenesprachen die Umgangssprache der folgenden Generation – wesentlich mehr als die auf speziellere Gruppen beschränkte etwa Soldatensprache, Gefängnissprache, Studentensprache, Bergmannssprache, Jägersprache, Fachsprachen usw. Die Umgangssprache erneuert sich also immer wieder u. a. aus den Soziolekten und spiegelt dabei die kulturelle Bedeutung wider, die die Sprechergemeinschaft insgesamt den entsprechenden Gruppen zubilligt.



Fallbeispiel niederländische Standardsprache |


Die Entwicklung einer Hoch- oder Standardsprache verlief in den Niederlanden anders als in Deutschland und in der Schweiz.


In den Niederlanden wurde eine umgangssprachliche Varietät des Niederfränkischen, das Teil des niederdeutschen Dialektkontinuums ist, seit dem 13. Jahrhundert in einem mehrere Jahrhunderte dauernden Prozess allmählich zur Hochsprache ausgebaut.


In Deutschland ging mit dem Ende der Hanse das durch diese weitgehend standardisierte Niederdeutsche zurück; heute ist jede Varietät des „Plattdeutschen“ Umgangssprache und Dialekt. Das hochsprachliche Niederländisch, das eine größere sprachliche Nähe zum Plattdeutschen hat als Hochdeutsch, ist deshalb für Zuhörer mit Kenntnissen des Plattdeutschen umgangssprachlich vertraut.


Einen mit den Niederlanden vergleichbaren Schritt hat die Schweiz unterlassen: Sie hat weder eine umgangssprachliche noch eine dialektale Varietät standardisiert und zur Standardsprache ausgebildet. Man spricht von einem Fehlen eines Dialekt-Standard-Kontinuums. Offizielle Sprache in der Deutschschweiz ist das Schweizer Hochdeutsch, eine Varietät des Standarddeutschen mit einigen lokalen Eigenheiten, den Helvetismen.



Literatur |



  • Karl-Heinz Best: Zur Entwicklung des Wortschatzes der deutschen Umgangssprache. In: Glottometrics 20, 2010, S. 34–37 (mathematische Modellierung des Wortschatzwachstums der deutschen Umgangssprache vom 10./11. Jahrhundert an; Datengrundlage sind die beiden ersten Bände von Küpper, Wörterbuch der deutschen Umgangssprache, ausgewertet von Helmut Meier: Deutsche Sprachstatistik. 2. Aufl., Olms, Hildesheim 1967, 1978, ISBN 3-487-00735-5 (1. Aufl. 1964)).


  • Heinz Küpper: Illustriertes Lexikon der deutschen Umgangssprache. Klett, Stuttgart 1982, ISBN 3-12-570010-8 (8 Bände).

  • Heinz Küpper: Wörterbuch der deutschen Umgangssprache. Klett, Stuttgart 1987, ISBN 3-12-570600-9.

  • Alfred Lameli: Standard und Substandard. Regionalismen im diachronen Längsschnitt. Steiner, Stuttgart 2004, ISBN 3-515-08558-0.

  • Alexandra N. Lenz: Struktur und Dynamik des Substandards. Eine Studie zum Westmitteldeutschen (Wittlich, Eifel). Steiner, Stuttgart 2003, ISBN 3-515-08349-9.

  • Alexandra N. Lenz: Emergence of Varieties through Restructuring and Reevaluation. In: Peter Auer/Jürgen Erich Schmidt (eds.): Language and Space. An International Handbook of Linguistic Variation. Volume 1: Theories and Methods. De Gruyter Mouton, Berlin/New York 2010, 295–315.


Weblinks |



 Wiktionary: Umgangssprache – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen


 Wiktionary: Alltagssprache – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen


 Wiktionary: ugs. – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen


  • Atlas zur deutschen Alltagssprache – umfangreiches Kartenmaterial zur deutschen Alltagssprache


  • Sprachnudel – Sammlung von sprachlichen Trends, „Wörterbuch der Jetztsprache“


  • Redensarten-Index – Wörterbuch für Redensarten, Redewendungen, idiomatische Ausdrücke und feste Wortverbindungen


  • Urban Dictionary – umfangreiche Sammlung von Begriffen und Redewendungen (englisch)


  • Mundmische – umfangreiche Sammlung von Begriffen und Redewendungen


Quellen |



  1. Heinz Küpper: Wörterbuch der deutschen Umgangssprache, 2. Auflage, Claassen Verlag, Hamburg 1956, S. 9.


  2. Helmut Glück (Hrsg.): Metzler Lexikon Sprache. 4. Auflage. Metzler, Stuttgart/Weimar 2010: Metakommunikation.








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