Der Freischütz


















Werkdaten
Titel:

Der Freischütz

Ansicht einer Aufführung in Nürnberg, um 1822

Ansicht einer Aufführung in Nürnberg, um 1822


Form:
Romantische Oper in drei Aufzügen
Originalsprache:
Deutsch
Musik:

Carl Maria von Weber

Libretto:

Johann Friedrich Kind
Uraufführung:
18. Juni 1821
Ort der Uraufführung:

Schauspielhaus Berlin
Spieldauer:
ca. 2 ½ Stunden
Personen


  • Ottokar, böhmischer Fürst (Bariton)


  • Kuno, fürstlicher Erbförster (Bass)


  • Agathe, die Tochter des Erbförsters (Sopran)


  • Ännchen, Agathes Cousine (Sopran)


  • Kaspar, erster Jägerbursche (Bass)


  • Max, zweiter Jägerbursche (Tenor)

  • Ein Eremit (Bass)


  • Kilian, ein reicher Bauer (Bariton)

  • Vier Brautjungfern (Sopran)


  • Samiel, der schwarze Jäger (Satan) (Sprechrolle)

  • Erster, zweiter und dritter fürstlicher Jäger (Sprechrollen)



Ouvertüre


Der Freischütz ist eine romantische Oper in drei Aufzügen von Carl Maria von Weber, op. 77. Das Libretto stammt von Johann Friedrich Kind.




Inhaltsverzeichnis





  • 1 Handlung

    • 1.1 Erster Akt


    • 1.2 Zweiter Akt


    • 1.3 Dritter Akt



  • 2 Geschichte

    • 2.1 Vorlagen


    • 2.2 Entstehungsprozess


    • 2.3 Uraufführung und Rezeption


    • 2.4 Parodien


    • 2.5 Historischer Hintergrund und Interpretationshinweise



  • 3 Adaptionen


  • 4 Literatur


  • 5 Weblinks


  • 6 Einzelnachweise




Handlung |


Libretto und Theaterzettel der Uraufführung geben als Ort und Zeit der Handlung Böhmen kurz nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges an. Für die konkrete Imagination des Komponisten kann das Elbsandsteingebirge eine Rolle gespielt haben; Weber hat sich möglicherweise, wie auch andere Künstler der Romantik, von der wilden Felsenlandschaft der Sächsischen Schweiz inspirieren lassen, und die Wolfsschluchtszene ist vielleicht in der Nähe von Rathen denkbar.[1][2][3]



Erster Akt |


Platz vor einer Waldschänke


Bauer Kilian wird von den Dorfbewohnern als Sieger eines Schützenfestes gefeiert. (Viktoria, der Meister soll leben). Mit dieser Ehrung verspotten die Dorfbewohner zugleich den Jägerburschen Max, einen berühmten Schützen, der aber unter dem Zauber Samiels (des Teufels) keine Scheibe getroffen hat. Max hält um die Hand von Agathe an, der Tochter des Erbförsters Kuno. Um die Försterstochter heiraten zu dürfen, muss er am folgenden Tag während der fürstlichen Jagd den entscheidenden Probeschuss ablegen, wie es die Tradition verlangt, vor dem regierenden Landesfürsten und seiner Jagdgesellschaft. Er ist dementsprechend aufgeregt und verunsichert. Trifft er nicht, kann Agathe nicht seine Frau werden (Kuno zu Max: Ich bin Dir wie ein Vater gewogen, doch wenn du morgen beim Probeschuss fehltest, müsst ich dir meine Tochter versagen!). Kuno erzählt den jüngeren Dorfbewohnern die Legende von der Entstehung dieses alten Brauchs des Probeschusses: Einer seiner Vorfahren war fürstlicher Leibschütz. Einst trieben die Hunde einen Hirsch heran, auf dem ein Wilderer angeschmiedet war – so bestrafte man in alten Zeiten die Waldfrevler. Bei dem Anblick bekam der Fürst Mitleid, und er versprach demjenigen, welcher den Hirsch erlege, ohne den Wilderer zu verletzen, eine Erbförsterei. Der wackere Leibschütz traf schließlich den Hirsch, der Angeschmiedete blieb unverletzt. Böse Zungen behaupteten jedoch, der Leibschütz hätte eine Freikugel geladen. Kilian erklärt, was es mit den geheimnisumwitterten, magischen Freikugeln auf sich hat (Sechse treffen, aber die siebente gehört dem Bösen! Dem großen Jäger! Von des Teufels Heerscharen! … Der kann sie hinführen, wohin’s ihm beliebt.).


Max, der die Demütigung einer weiteren Niederlage und vor allem den Verlust seiner Braut befürchtet, macht sich ernsthafte Gedanken darüber, wie er diese Prüfung bestehen soll (O, diese Sonne). Nachdem die Dorfbevölkerung zum Tanz in die Waldschenke aufgebrochen ist (Walzer), hängt Max allein seinen Gedanken nach und bringt seine Verzweiflung und Ängste zum Ausdruck (Nein, länger trag’ ich nicht die Qualen). Der Jägerbursche Kaspar aus Kunos Gefolge lädt ihn zum Trinken ein (Hier im ird’schen Jammertal). Er hatte ursprünglich selbst um Agathe geworben, bis diese sich für Max entschied (Kaspar zu Max während des Trinkens: Jungfer Agathe soll leben! Die mich um deinetwillen verwarf …). Mit der Heirat von Max und Agathe würde Max auch die Försterei erben. So sinnt Kaspar auf Rache. Schließlich leiht er Max sein Gewehr und ermuntert ihn, damit auf einen Adler zu schießen, gerade als die Uhr sieben schlägt. Obwohl der Adler weit außerhalb der Reichweite des Gewehrs fliegt, trifft Max, worauf Kaspar ihm erklärt, dass er gerade mit einer „Freikugel“ geschossen habe. Weil es seine letzte gewesen sei, müssten nun neue gegossen werden. Max lässt sich davon überzeugen, dass diese sagenumwobenen Freikugeln der Ausweg aus seiner misslichen Lage sein könnten. Die beiden verabreden sich für Mitternacht in der Wolfsschlucht. Als Kaspar allein ist, zeigt er sein wahres Gesicht: Er hat seine Seele Samiel (dem Teufel) verschrieben, im Tausch für die alles treffenden Freikugeln (Schweig, damit dich niemand warnt!). Wenn er Samiel bis Mitternacht ein anderes Menschenopfer präsentiert, so ist er selbst gerettet.




Caspar und Max beim Gießen von Freikugeln: das „Wilde Heer erscheint.“




Wolfsschluchtspuk. Radierung von George Cruikshank zu einer Londoner „Freischütz“-Parodie, 1826.



Zweiter Akt |


1. Szene. Vorsaal im Forsthaus


Im Hause des Erbförsters Kuno ist Agathes Kusine Ännchen damit beschäftigt, ein Portrait des Urgroßvaters wieder aufzuhängen (Schelm! Halt fest!). Gerade als die Uhr sieben schlug, war es von der Wand gefallen und hatte Agathe verletzt. Dabei gelingt es ihr, Agathes dunkle Vorahnungen zu zerstreuen und Fröhlichkeit zu verbreiten (Kommt ein schlanker Bursch gegangen). Aber Agathes Heiterkeit dauert nicht lange an und weicht der Angst um Max (Wie nahte mir der Schlummer / Leise, leise, fromme Weise). Als Max endlich kommt, bringt er nicht wie erwartet die Siegertrophäe, sondern lediglich ein paar Adlerfedern. Um noch einmal aus dem Hause zu gehen, erzählt Max seiner Geliebten zu deren Entsetzen, dass er noch einen kapitalen Sechzehnender-Hirsch aus der unheimlichen Wolfsschlucht holen müsse (Wie? Was? Entsetzen!). Agathes Befürchtungen steigern sich, nachdem sie dies erfahren hat. Max, hin- und hergerissen zwischen Lüge und Wahrheit, läuft mit schlechtem Gewissen davon.


2. Szene. Furchtbare Wolfsschlucht


Vor Mitternacht bereitet Kaspar in der verrufenen Wolfsschlucht alles für das Gießen der Freikugeln vor. Geisterchöre sind zu hören (Milch des Mondes fiel aufs Kraut). Noch bevor Max erscheint, beschwört er Samiel, den schwarzen Jäger, und bietet Max, Agathe und Kuno als Opfer an (Samiel! Samiel! Erschein!). Danach soll Samiel die siebte Kugel verwünschen, sodass sie später Agathe trifft (Die siebente sei dein! Aus seinem Rohr lenk sie nach seiner Braut. Dies wird ihn der Verzweiflung weihn, ihn und den Vater …). Samiel kann aber nur über Max Macht erlangen, wenn dieser mit Kaspar die Freikugeln gießt, die Samiels Zauber unterliegen. Agathe und Kuno stehen außerhalb seines Einflusses (Noch hab ich keinen Teil an ihr …). Kaspar verhandelt weiter (Genügt er dir allein?). Schließlich akzeptiert Samiel (Es sei. – Bei den Pforten der Hölle! Morgen er oder du!). Samiel verschwindet. Jetzt erscheint der verstörte Max, der auf dem Weg von wilden Phantasien gepeinigt wurde (Trefflich bedient!). Das Kugelgießen wird vom Erscheinen wilder Tiere, Geistern der Nacht, Gewitter und Sturm begleitet. Als Kaspar die letzte Kugel gießt, erscheint Samiel und greift nach Max. Die Turmuhr schlägt eins – und der Höllenspuk ist vorbei. Erschöpft sinkt Max zu Boden.



Dritter Akt |


1. Szene. Wald


Kaspar und Max haben die sieben Freikugeln aufgeteilt: Kaspar nahm drei, Max erhielt vier. Nun bereitet sich Max auf den bevorstehenden Probeschuss vor: Er verbraucht eine Kugel nach der anderen auf der fürstlichen Jagd. Kaspar achtet darauf, dass er schnell alle seine Kugeln verschießt, so dass die letzte – die siebte, die „Teufelskugel“ – in Max’ Gewehr steckt; um das zu erreichen, verschießt Kaspar seine Freikugeln auf Elstern, und mit der sechsten Kugel trifft er einen Fuchs (Dort läuft ein Füchslein; dem die sechste in den Pelz! – Wohl bekomm’s der schönen Braut!).


2. Szene. Agathes Zimmer


Agathe betet in ihrem Zimmer (Und ob die Wolke sie verhülle), gekleidet in ihr Hochzeitskleid. In ihren Träumen ist sie als weiße Taube von Max erschossen worden, verwandelte sich dann zurück, und die Taube wurde zum großen schwarzen Raubvogel. Ännchen erzählt ihr eine lustige Geistergeschichte, um sie zu beruhigen (Einst träumte meiner sel’gen Base). Die Brautjungfern erscheinen und singen ihr Brautlied (Wir winden dir den Jungfernkranz). Erschrocken brechen die Mädchen ihren Gesang ab: In der Schachtel, die Ännchen gerade gebracht hat, liegt eine schwarze Totenkrone anstelle des weißen Brautkranzes. Die Mädchen und Ännchen sind ratlos, doch auf Agathes Vorschlag flechten sie schnell einen neuen Kranz aus den geweihten weißen Rosen, die Agathe von einem Eremiten bekommen hatte.


3. Szene. Romantisch schöne Gegend


Der Landesfürst und sein Gefolge sind erschienen, um dem Probeschuss des Kandidaten für die Erbförsterei beizuwohnen. Gespannt wartet man auf das Ergebnis. Die Jäger besingen die Freuden der Jagd (Jägerchor Was gleicht wohl auf Erden dem Jägervergnügen), Kaspar hat sich in einem Baum versteckt. Der Landesfürst fordert Max auf, den Probeschuss abzulegen und eine Taube vom Baum zu schießen. Max legt an, zielt und drückt ab. Agathe, die genau zu diesem Zeitpunkt mit den Brautjungfern das Gelände erreicht hat, fällt, scheinbar getroffen, zu Boden (Schaut, o schaut, er traf die eigne Braut). Doch durch das gleichzeitige Erscheinen des Eremiten ist die siebte Freikugel, die dem Satan gehört, nochmals umgelenkt worden: Nicht Agathe, sondern Kaspar wird tödlich getroffen. Während er stirbt, verflucht er den Himmel. Der zornige Landesfürst fordert Max auf, die Vorfälle aufzuklären, und dieser gesteht das Gießen der Freikugeln in der Wolfsschlucht. Der Eremit tritt für Max ein und stellt fest, dass nur der unerträgliche Prüfungsdruck und die Angst, Agathe für immer zu verlieren, Max zu diesen verbotenen Mitteln habe greifen lassen. Überhaupt solle dieser ganze altertümliche Brauch eingestellt werden: Das Glück zweier Menschen dürfe nicht von einem Probeschuss abhängig gemacht werden. Statt in die Verbannung zu gehen, wie es der Landesfürst gefordert hatte, soll Max nach einem Jahr der Bewährung Agathe heiraten dürfen. Unter dem Druck der Bevölkerung stimmt Ottokar dem Vorschlag zu. Im Schlusschor wird die Milde Gottes gegenüber denen gepriesen, die reinen Herzens sind.



Geschichte |



Vorlagen |


Folgende Vorlagen für das Freischütz-Libretto sind bekannt:


  • Die im Jahre 1730 gedruckten „Unterredungen von dem Reiche der Geister“ von Otto von Graben zum Stein, basierend auf den Gerichtsakten der böhmischen Stadt Taus.

  • Der im Jahr 1810 bei Göschen in Leipzig erschienene erste Band des Gespensterbuches von August Apel und Friedrich August Schulze (unter dem Pseudonym Friedrich Laun), einer Sammlung von Geister- und Spukgeschichten, deren erste Der Freischütz. Eine Volkssage ist, nach der Friedrich Kind in enger Zusammenarbeit mit dem Komponisten das Opernlibretto geschrieben hat.


Entstehungsprozess |


Im Sommer 1810 soll von Weber auf Stift Neuburg Das Gespensterbuch in die Hände gefallen sein. Von Weber und sein Freund Alexander von Dusch sollen sich schnell einig gewesen sein, dass die Freischütz-Geschichte sich gut als Text für eine Oper eigne. Erst 1817 griff Weber, nunmehr in Dresden, mit Johann Friedrich Kind diese Idee wieder auf.[4] Sie wurde dann zuerst unter dem Titel Die Jägerbraut entworfen. Nach den ersten Arbeiten 1817 entstanden der Bauernwalzer und die am 22. April 1818 vollendete[5]Arie Durch die Wälder durch die Auen. Am 14. Mai 1818 schrieb von Weber an Hinrich Lichtenstein:





„Meine Oper, die Jägersbraut, ist zur Hälfte entworfen und soll künftigen Winter in die Welt treten.“




Weber[6]


Die Arbeit an der Oper zog sich aber wegen anderer Verpflichtungen von Webers dennoch in die Länge. 1819 drängte ihn Graf Brühl die Oper zur Eröffnung des neuerbauten Schauspielhauses in Berlin endlich fertigzustellen. Von Weber sandte ihm sofort das Textbuch zu und machte sich mit verstärkter Anstrengung an die Arbeit. Ab diesem Zeitpunkt finden sich regelmäßige Eintragungen von Webers über den Fortgang der Arbeit an der Oper. Am 3. September traf er sich mit Graf Brühl auf dessen Landsitz Schloss Seifersdorf bei Dresden zur Besprechung über die Oper.[7] Über die Zusammenarbeit zwischen Carl Maria von Weber und Carl von Brühl, dem Generalintendanten der königlichen Theater zu Berlin und Graf in Seifersdorf, gibt es neben in Archiven vorhandenem Schriftwechsel das Buch Carl Maria von Weber – Briefe an Karl Graf von Brühl. Anhand des 1910 gedruckten Buches ist die Entstehung gut nachzuvollziehen.[8]




Ein Briefmarkenblock der DDR von 1986 aus Anlass von Webers 200. Geburtstag zeigt einige Figurinen und den Theaterzettel zur Uraufführung des Freischütz nebst dem Berliner Schauspielhaus.



Uraufführung und Rezeption |


Der Freischütz wurde am 18. Juni 1821 im Königlichen Schauspielhaus Berlin mit triumphalem Erfolg uraufgeführt. Die Partie des Max sang der Tenor Heinrich Stümer.


Von Webers Oper wurde in der Musikkritik schon zu Webers Lebzeiten und auch danach als die „erste deutsche Nationaloper“ bezeichnet. So schrieb die Allgemeine Musikalische Zeitung im April 1843:





„Kind’s und Weber’s Freischütz ist aber auch eine echt deutsche Oper. Ja, man kann in gewisser Hinsicht sagen, sie hat in sich selbst die erste in jeder Beziehung rein deutsche Nationaloper hingestellt. Die älteren Erscheinungen im Gebiete der deutschen Oper (natürlich ist hier nur von den bedeutenden die Rede) hatten fast alle irgendetwas Fremdartiges, Nichtdeutsches an sich, sei es in der Musik oder in den Büchern.“




Rezension 1843[9]


Heinrich Heine fügt in seinen Reisebildern ironische Bemerkungen über die Bekanntheit des Frauenchors Wir winden dir den Jungfernkranz ein:





„Haben Sie noch nicht Maria von Weber’s ‚Freischütz‘ gehört? Nein? Unglücklicher Mann! Aber haben Sie nicht wenigstens aus dieser Oper ‚das Lied der Brautjungfern‘ oder ‚den Jungfernkranz‘ gehört? Nein? Glücklicher Mann!“




Heinrich Heine[10]


Der Komponist Hector Berlioz hat im Auftrag der Pariser Grand opéra eine Rezitativ-Fassung des Freischütz in französischer Sprache geschaffen, um die gesprochenen Dialoge zu ersetzen (1841). Sie wurde von Richard Wagner scharf kritisiert.


Der Bau der Berliner Ideal-Passage war vom Freischütz inspiriert.



Parodien |



  • Der Freischütz oder Staberl in der Löwengrube von Carl Carl (Karl Andreas von Bernbrunn), Leiter des Isartortheaters, München 1822


  • Wolfsschlucht-Parodie von Franz Grillparzer, 1822


  • Samiel oder Die Wunderpille, Quedlinburger Freischützparodie von 1824


  • Der Freischütz in Kamerun, romantisch-komische Operette von Karl Höpfner, 1877


  • Kommt ein schlanker Bursch gegangen, Singspiel von Otto Höser, Eisenach 1918


  • Der Hamburger Freischütz oder De Bruutschuss, Opernparodie von Michael Leinert, plattdeutscher Text von Hanne Heinz, Musik von Gerhard Jünemann, Hamburgische Staatsoper (Opera stabile), 1978


Historischer Hintergrund und Interpretationshinweise |


Einen wichtigen Schlüssel zur Deutung des Werks liefert die Verortung der Handlung in Böhmen um 1648. Sie steht im Gegensatz zur literarischen Vorlage: Johann August Apels nach dem Geschmack der Zeit als Gothic Novel gestaltete Erzählung Der Freischütz aus dem Gespensterbuch gibt den Ort Lindenhayn bei Leipzig an und enthält keinen Bezug zum Dreißigjährigen Krieg. Im Gegensatz zur Oper gibt es in Apels Erzählung auch kein Happy-End: Max (in der Erzählung Wilhelm) tötet beim Probeschuss seine Braut und verfällt selbst dem Wahnsinn. Die Verlegung von Ort und Zeit ist als „clavis interpretandi“ zu verstehen, denn Der Freischütz enthält zahlreiche politisch-historische Anspielungen: So evoziert die vergangene Nachkriegszeit von 1648 bewusst die noch unmittelbar gegenwärtige Nachkriegszeit der Napoleonischen Kriege, weshalb die Berliner Uraufführung schließlich auf den 18. Juni verlegt wurde, das festliche Jubiläumsdatum der Schlacht von Waterloo 1815.[11] Der Handlungsort Böhmen, wo die Katastrophe von 1618 mit Zwist und nationaler Zerrissenheit ihren Anfang nahm, wird nun zu der nationalen Erneuerung von 1815 in Bezug gesetzt. Die Parallelisierung der Ereignisse von 1648 und 1815 ist deshalb als Anspielung auf eine nationale Wiedergeburt Deutschlands nach dem verheerenden und verrohenden Kriegsjahren zu verstehen, die in der Oper am Ende sogar mit religiösen Weihen versehen wird. Das rückte das Werk quasi automatisch in den Fokus der damals noch jungen deutschen Nationalbewegung und erklärt den beispiellosen Siegeszug der Oper in allen Ländern des neu entstandenen Deutschen Bundes, vor allem aber in Preußen. Weber wurde deshalb umgehend von der in den antinapoleonischen Befreiungskriegen groß gewordenen Nationalbewegung vereinnahmt. Anlass gaben dazu seine bisherigen Kompositionen, unter anderem Kampf und Sieg von 1815 und die patriotischen Theodor-Körner-Vertonungen Leyer und Schwert von 1814, deren mit politischer Symbolik aufgeladenen Männerchöre, insbesondere Lützows wilde, verwegene Jagd, musikalisch und stofflich direkt zum Geisterheer der „wilden Jagd“ in der Wolfsschlucht-Szene des Freischütz führen: hier wie dort „naturhaft-entfesselte Rächer der deutschen Nationalehre.“[12] Hinzu kommt die ästhetische Vorstellung vom Freischütz als dem Begründer einer deutschen Nationaloper im Gegensatz zu den Vertretern der italienischen Oper, Gaspare Spontini in Berlin und Francesco Morlacchi in Dresden, die beide von der nationalen Publizistik (nicht von Weber selbst) zu Webers Gegenspielern hochstilisiert wurden.[13]Der Freischütz stiftete nach der napoleonischen Fremdherrschaft nationale Identität wie kein zweites Bühnenwerk, was der Zeitzeuge Ludwig Börne nach der Stuttgarter Erstaufführung von 1822 richtig erkannte. Seine mit Ironie gespickte Rezension verdeutlicht anhand des Freischütz zugleich die besondere Problematik des Nationalismus in Deutschland: „… wer kein Vaterland hat, erfinde sich eins! Die Deutschen haben es versucht auf allerlei Weise, … und seit dem Freischützen tun sie es auch mit der Musik. Sie wollen einen Hut haben, unter den man alle deutschen Köpfe bringe. Man mag es den Armen hingehen lassen, dass sie sich mit solchen Vaterlandssurrogaten gütlich tun.“[14]



Adaptionen |


  • 1961 inszenierte Bohumil Herlischka in Düsseldorf. Diese Fassung stieß allerdings auf starke Empörung, da Herlischka kein Happy End, wie üblich, folgen ließ. Diese Aufführung brachte ihm beinahe ein Arbeitsverbot ein, trotz der durchaus vorhandenen Erfolge.[15]

  • 1978 kam Michael Leinerts niederdeutsche Opernparodie De Hamburger Freischütz oder De Bruutschuss an der Hamburgischen Staatsoper (Opera stabile) zur Uraufführung, wurde vom Theater Bremen nachgespielt und von Radio Bremen/NDR als Hörspielfassung produziert. Bei Phonogram (Polygram) erschien De Bruutschuss auf Schallplatte.

  • 1986 erschien Der Freischütz in Berlin, eine filmische Darstellung an Originalschauplätzen als DEFA-Produktion, u. a. mit Ekkehard Schall als Graf Carl von Brühl in der Hauptrolle.

  • 1990 kam in Hamburg The Black Rider: The Casting of The Magic Bullets zur Uraufführung, ein auf Der Freischütz basierendes Bühnen-Musical von William S. Burroughs, Robert Wilson und Tom Waits.

  • 1990 entstand die darauf basierende österreichische TV-Produktion The Black Rider (ebenfalls unter der Regie Robert Wilsons).

  • 2010 kam eine Filmadaption von Jens Neubert ins Kino. Die Aufnahmen fanden 2009 in Dresden und der Sächsischen Schweiz statt. An der Produktion wirkten unter anderem die Sänger Franz Grundheber, Benno Schollum, Juliane Banse, Regula Mühlemann, Michael Volle, Michael König, René Pape und Olaf Bär mit sowie das London Symphony Orchestra unter der Leitung von Daniel Harding und der Rundfunkchor Berlin unter der Leitung von Simon Halsey.

  • 2011 veröffentlichte das Harald Rüschenbaum Trio die CD Swing frei, Schütz beim Münchener Label Downhill Records. Bei der Produktion und dem gleichnamigen Live-Programm handelt es sich um die weltweit einzige Jazz-Fassung der Oper. Mitwirkende sind Harald Rüschenbaum (Schlagzeug), Daniel Mark Eberhard (Piano, Arrangements), Andreas Kurz (Kontrabass) und der Eutiner Literaturwissenschaftler Wolfgang Griep (Sprecher). Die Arrangements stammen von Daniel Mark Eberhard.


Literatur |


  • Martin Lade: Von Wallenstein zu Napoleon. Der Freischütz, ein Spiegel deutscher Geschichte. (Programmheft Oper Köln, Spielzeit 2007/2008).


  • Friedrich Kind, Carl Maria von Weber: Der Freischütz. Romantische Oper in drei Aufzügen. Kritische Textbuch-Edition. Hrsg. von Solveig Schreiter. alliteraverlag, München 2007, ISBN 978-3-86520-209-3.


  • Werner Abegg: Carl Maria von Weber: Der Freischütz. Romantische Oper – Finstere Mächte – Bühnenwirkung. Wißner, Augsburg 2005, ISBN 3-89639-368-5.


  • Der Freischütz. Texte, Materialien, Kommentare. Mit einem Essay von Karl Dietrich Gräwe. rororo Opernbuch 7328, Reinbek bei Hamburg 1981, ISBN 3-499-17328-X.


  • Michael Leinert: Der Freischütz. In: Carl Maria von Weber. 5. Auflage. Rowohlt Monografien rm 50268, Reinbek bei Hamburg 2003, ISBN 3-499-50268-2.

  • Gottfried Mayrhofer: Abermals vom Freischützen – Der Münchner Freischütz von 1812. Regensburg 1959. (Mayrhofers Dissertation stellt die Frage nach dem Plagiat von Friedrich Kind zur Diskussion, denn die frühere Freischütz-Oper des Münchner Hofrats Franz Xaver von Caspar (Text) und Carl B. Neuner (Musik) ist fünf Jahre vor Kinds Textbuch entstanden und weist erstaunliche, szenische-dramaturgische Ähnlichkeiten mit dem Libretto von Kind auf.)


  • Carl Dahlhaus: Zum Libretto des Freischütz. In: Neue Zeitschrift für Musik. Heft 5. Mainz 1972.


  • Bilderwelt des Freischütz. In: Theodor W. Adorno: Moment musicaux. Edition suhrkamp 54, Frankfurt a. M. 1964.

  • Wolfgang Michael Wagner: Carl Maria von Weber und die deutsche Nationaloper (= Weber-Studien. Bd. 2). Schott, Mainz 1994, ISBN 3-7957-0284-4 (darin eine ausführliche Besprechung der Musik, des Librettos und der Rezeption).


  • Christoph Schwandt: Carl Maria von Weber in seiner Zeit: eine Biografie. Schott Music, Mainz 2014, ISBN 978-3-7957-0820-7 (auch als e-book erhältlich).


Weblinks |



 Commons: Der Freischütz – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien


  • Der Freischütz: Noten und Audiodateien im International Music Score Library Project.


  • Handlung und Libretto von Der Freischütz bei Opera-Guide


  • Komplette Tonaufnahme der Oper von 1951 mit den Wiener Philharmonikern unter Leitung von Otto Ackermann (DECCA LXT 2598)


  • Carl Maria von Weber: Der Freischütz. Dokumente und Illustrationen beim Goethezeit-Portal, München

  • Diskographie beim Stanford Opera Project


  • Diskografie zu Der Freischütz bei Operadis


Einzelnachweise |



  1. Geschichtliches zur sächsischen Schweiz. In: tourismusverein-elbsandsteingebirge.de, abgerufen am 14. Oktober 2014


  2. Sächsische Schweiz. In: regionen.sachsen.de, abgerufen am 6. April 2018


  3. Felsenbühne Rathen. In: saechsischeschweiz-travel.de, abgerufen am 14. Oktober 2014


  4. Christoph Schwandt: Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Mainz 2014, S. 121f., 280ff.


  5. Tagebuch C. M. v. Webers, 22. April 1818


  6. Brief C. M. v. Webers an Hinrich Lichtenstein, 14. Mai 1818


  7. Karl Laux: Carl Maria von Weber. Reclam Biografien, Leipzig 1986, S. 150–152.


  8. Georg Kaiser (Hrsg.): Carl Maria von Weber – Briefe an den Grafen Karl von Brühl. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1911.


  9. Allgemeine Musikalische Zeitung, Band 45, Breitkopf und Härtel, Leipzig 1843, S. 278.


  10. Reisebilder, Zweyter Theil, S. 299–308 (= Beginn des „Zweyten Briefes“ (von 3) in der Düsseldorfer Heine-Ausgabe Bd. 6, S. 21–24).


  11. Martin Lade: Von Wallenstein zu Napoleon. Programmheft der Oper Köln, Spielzeit 2007/2008, S. 13.


  12. Martin Lade: Von Wallenstein zu Napoleon. Programmheft der Oper Köln, Spielzeit 2007/2008, S. 14.


  13. Martin Lade: Von Wallenstein zu Napoleon. Programmheft der Oper Köln, Spielzeit 2007/2008, S. 15–18.


  14. Zitiert nach Martin Lade: Von Wallenstein zu Napoleon. Programmheft der Oper Köln, Spielzeit 2007/2008, S. 14.


  15. Bohumil Herlischka. In: kultiversum.de








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