Massenmittelpunkt
Der Massenmittelpunkt (auch Schwerpunkt oder manchmal zur Unterscheidung vom Formschwerpunkt auch Gewichtsschwerpunkt genannt) eines Körpers ist das mit der Masse gewichtete Mittel der Positionen seiner Massepunkte. Für kontinuierliche Masseverteilungen wird das Ortsmittel der Dichte als Massenmittelpunkt definiert. Bei einem homogenen Körper (d. h. bei überall gleicher Dichte) stimmt der Massenmittelpunkt mit dem geometrischen Schwerpunkt überein. Das Stehaufmännchen bildet ein Beispiel für einen inhomogenen Körper.
Das Konzept des Massenmittelpunktes dient in der Physik der Reduktion eines komplexen ausgedehnten starren Körpers auf einen einzigen Massepunkt zur einfacheren Berechnung seiner Bahnkurve bei Einwirkung einer Kraft. Auch vereinfachen sich viele Rechnungen im Schwerpunktsystem, in dem der Massenmittelpunkt als Koordinatenursprung verwendet wird (siehe auch Mehrkörpersystem). Im Massenmittelpunkt angreifende externe Kräfte können den Rotationszustand des Objekts nicht verändern, da sie wegen des im Schwerpunkt fehlenden Hebelarms kein Drehmoment ausüben. Achsen durch den Schwerpunkt werden auch als Schwerachsen bezeichnet.[1]
In der Himmelsmechanik bezeichnet man den Massenmittelpunkt eines Systems von mehreren Himmelskörpern als Baryzentrum.
Der Massenmittelpunkt eines Körpers muss nicht im Inneren des Körpers liegen. Beispiele dafür sind der Torus, ein Bumerang, eine Tasse oder der Körperschwerpunkt eines Hochspringers. Ist der Körper aber konvex, so liegt der Schwerpunkt niemals außerhalb.
Inhaltsverzeichnis
1 Massenschwerpunkt zweier Punktmassen auf einem Stab
2 Massenschwerpunkt mehrerer Punktmassen auf einem Stab
3 Massenschwerpunkt bei kontinuierlicher Masse-Verteilung entlang eines Stabes
3.1 Beispielsrechnung
4 Mathematische Definition
5 Der Begriff Massenmittelpunkt im Vergleich zum Gravizentrum
6 Der Begriff Massenmittelpunkt im Vergleich zum Volumenschwerpunkt
6.1 Bestimmung des Massenmittelpunktes
7 Siehe auch
8 Literatur
9 Einzelnachweise
Massenschwerpunkt zweier Punktmassen auf einem Stab |
Gegeben sei ein Stab der Länge adisplaystyle a. Auf diesem Stab befinden sich die zwei Punktmassen m1displaystyle m_1 und m2displaystyle m_2 an den Orten x1displaystyle x_1 und x2displaystyle x_2.
Der Massenschwerpunkt (Massenmittelpunkt) xsdisplaystyle x_s lässt sich dann wie folgt berechnen:
- xs=m2m1+m2⋅adisplaystyle x_s=frac m_2m_1+m_2cdot a
Das Massenverhältnis ist sozusagen ein prozentualer Faktor zu adisplaystyle a. Wird die Masse m2displaystyle m_2 unendlich groß, so verschiebt sich der Massenschwerpunkt an den Ort x2displaystyle x_2. Wird jedoch die Masse m1displaystyle m_1 im Verhältnis zu m2displaystyle m_2 unendlich groß, so verschiebt sich der Massenschwerpunkt an den Ort x1displaystyle x_1.
Etwas Allgemeiner:
Aus Bild 1 ist zu erkennen, dass a=x2−x1displaystyle a=x_2-x_1 gilt. In Bild 2 sind nun die Punktmassen nicht mehr am Anfangs- und Endpunkt des Stabes. Da in den Bildern die Skala von links nach rechts verläuft muss man also den Abstand zwischen dem Anfangspunkt des Stabes und dem Massenpunkt x1displaystyle x_1 dazu addieren. Somit kommt man zu folgender Formel:
- xs=m2m1+m2⋅(x2−x1)+x1=x1⋅m1+x2⋅m2m1+m2displaystyle x_s=frac m_2m_1+m_2cdot (x_2-x_1)+x_1=frac x_1cdot m_1+x_2cdot m_2m_1+m_2
Massenschwerpunkt mehrerer Punktmassen auf einem Stab |
Um dies vom vorherigen Abschnitt fortzusetzen platzieren wir nun 3 Punktmassen auf einem Stab.
Um den Massenschwerpunkt zu bestimmen, zerlegen wir dieses Konstrukt in 2 Teilstäbe. Dazu durchtrennen wir den Stab am Ort x2displaystyle x_2 und teilen die Masse m2displaystyle m_2 zur Hälfte auf den einen Teilstab und die andere Hälfte auf den anderen Teilstab auf. Zunächst berechnen wir wie folgt die Massenschwerpunkte der Teilstäbe wie aus dem vorherigen Abschnitt bekannt:
- xs1=0,5⋅m2m1+0,5⋅m2⋅(x2−x1)+x1displaystyle x_s1=frac 0,5cdot m_2m_1+0,5cdot m_2cdot (x_2-x_1)+x_1
- xs2=m30,5⋅m2+m3⋅(x3−x2)+x2displaystyle x_s2=frac m_30,5cdot m_2+m_3cdot (x_3-x_2)+x_2
Nun kann man mit der Gesamtmasse der Teilstäbe und dem Massenschwerpunkt die Teilstäbe als neue Punktmasse zusammenfassen:
- mxs1=m1+0,5⋅m2displaystyle m_xs1=m_1+0,5cdot m_2
- mxs2=0,5⋅m2+m3displaystyle m_xs2=0,5cdot m_2+m_3
Nun berechnet man mit diesen neuen Werten einen weiteren Massenschwerpunkt welche schlussendlich der Massenschwerpunkt der drei Punktmassen ist:
- xs=mxs2mxs1+mxs2⋅(xs2−xs1)+xs1displaystyle x_s=frac m_xs2m_xs1+m_xs2cdot (x_s2-x_s1)+x_s1
Eingesetzt sieht das dann wie folgt aus:
- xs=0,5⋅m2+m3m1+m2+m3⋅(m3⋅(x3−x2)0,5⋅m2+m3+x2−0,5⋅m2⋅(x2−x1)m1+0,5⋅m2−x1)+0,5⋅m2⋅(x2−x1)m1+0,5⋅m2+x1displaystyle x_s=frac 0,5cdot m_2+m_3m_1+m_2+m_3cdot left(frac m_3cdot (x_3-x_2)0,5cdot m_2+m_3+x_2-frac 0,5cdot m_2cdot (x_2-x_1)m_1+0,5cdot m_2-x_1right)+frac 0,5cdot m_2cdot (x_2-x_1)m_1+0,5cdot m_2+x_1
Formt man diese Gleichung etwas um, kommt man zu folgendem Ergebnis:
- xs=x1⋅m1+x2⋅m2+x3⋅m3m1+m2+m3displaystyle x_s=frac x_1cdot m_1+x_2cdot m_2+x_3cdot m_3m_1+m_2+m_3
Vergleicht man dieses Ergebnis mit dem aus vorherigen Abschnitt, so ist eine Regelmäßigkeit zu erkennen. Verteilt man nun n-viele Punktmassen auf einem Stab so lässt sich der Massenschwerpunkt wie folgt bestimmen:
- xs=1M⋅∑i=1nxi⋅midisplaystyle x_s=frac 1Mcdot sum _i=1^nx_icdot m_i
Dabei ist Mdisplaystyle M die Gesamtmasse, sprich die Summe aller Punktmassen:
- M=∑i=1nmidisplaystyle M=sum _i=1^nm_i
Massenschwerpunkt bei kontinuierlicher Masse-Verteilung entlang eines Stabes |
Hier greifen wir auf die Formel aus vorherigem Abschnitt zurück und bilden den Grenzwert. Damit erhält man eine integrale Darstellung.
Massenschwerpunkt:
- xs=1M⋅∫x1x2x⋅dm=1M⋅∫x1x2x⋅λ(x)dxdisplaystyle x_s=frac 1Mcdot int _x_1^x_2xcdot mathrm d m=frac 1Mcdot int _x_1^x_2xcdot lambda (x)mathrm d x
Dichtefunktion:
- dmdx=λ(x)displaystyle frac mathrm d mmathrm d x=lambda (x)
Gesamtmasse:
- M=∫x1x2λ(x)dxdisplaystyle M=int _x_1^x_2lambda (x)mathrm d x
Beispielsrechnung |
Gegeben sei ein Stab der Länge l=1mdisplaystyle l=1;mathrm m . Die Dichte nehme proportional mit der Länge des Stabes zu. Man berechne nun den Massenschwerpunkt des Stabes!
Dichtefunktion:
- dmdx=λ(x)=cxdisplaystyle frac mathrm d mmathrm d x=lambda (x)=c;x
Der Proportionalitätsfaktor wird hierbei willkürlich als c=1kgm2displaystyle c=1frac mathrm kg mathrm m^2 gewählt.
Gesamtmasse:
- M=∫0lcxdx=c2⋅[x2]0l=0,5kgdisplaystyle M=int _0^lcx;mathrm d x=frac c2cdot left[x^2right]_0^l=0,5;mathrm kg
Massenschwerpunkt:
- xs=1M⋅∫0lx⋅cxdx=1M⋅[13x3]0l≈0,667mdisplaystyle x_s=frac 1Mcdot int _0^lxcdot cx;mathrm d x=frac 1Mcdot left[frac 13x^3right]_0^lapprox 0,667;mathrm m
Mathematische Definition |
Der Massenmittelpunkt r→sdisplaystyle vec r_s ist das mit der Masse gewichtete Mittel der Ortsvektoren r→displaystyle vec r aller Massepunkte dmdisplaystyle mathrm d m eines Körpers:
- r→s=1M∫Kr→dm=1M∫Kr→ρ(r→)dVdisplaystyle vec r_s=frac 1Mint _Kvec r,mathrm d m=frac 1Mint _Kvec r,rho (vec r),mathrm d V
Dabei ist ρ(r→)displaystyle rho (vec r) die Dichte am Ort r→displaystyle vec r und dVdisplaystyle dV ein Volumenelement. Der Nenner Mdisplaystyle M dieser Terme ist die Gesamtmasse.
Bei einem homogenen Körper kann die Dichte ρdisplaystyle rho als Faktor vor das Integral gezogen werden, der Massenmittelpunkt fällt dann mit dem Volumenmittelpunkt (dem geometrischen Schwerpunkt) zusammen. In vielen Fällen kann die Berechnung dann vereinfacht werden; beispielsweise, wenn der Volumenmittelpunkt auf einer Symmetrieachse des Körpers liegt, zum Beispiel bei einer Kugel im Mittelpunkt.
Bei diskreten Systemen kann das Volumenintegral durch eine Summe über die Ortsvektoren r→idisplaystyle vec r_i aller Massepunkte ersetzt werden:
- r→s=1M∑imir→idisplaystyle vec r_s=frac 1Msum _im_i,vec r_i
wobei Mdisplaystyle M die Summe aller Einzelmassen midisplaystyle m_i ist:
- M=∑imidisplaystyle M=sum _im_i
Der Begriff Massenmittelpunkt im Vergleich zum Gravizentrum |
Die Gravitation wirkt auf alle Massenpunkte eines Körpers. Nur in einem homogenen Gravitationsfeld ist die Gesamtwirkung so, als würde die Gravitationskraft im Massenmittelpunkt angreifen. Da das Gravitationsfeld oft als homogen angenommen werden kann, z. B. in der Nähe der Erdoberfläche, werden die Begriffe Gravizentrum und Massenmittelpunkt oft beide undifferenziert als Schwerpunkt bezeichnet.[2][3] In einem inhomogenen Feld ist dieser effektive Punkt verschieden vom Massenmittelpunkt und wird Gravizentrum genannt.[4] In einem solchen Fall treten Gezeitenkräfte auf.[5]
Der Begriff Massenmittelpunkt im Vergleich zum Volumenschwerpunkt |
Ist ein Körper homogen (besteht er also aus einem Material, das überall die gleiche Dichte hat), so fällt sein Massenmittelpunkt mit seinem geometrischen Schwerpunkt zusammen. Besteht der Körper aus Teilen verschiedener Dichte, kann der Massenmittelpunkt vom Volumenschwerpunkt abweichen. Wenn die Verteilung der Masse innerhalb des Körpers bekannt ist, kann der Massenmittelpunkt durch Integration berechnet werden. Dies war der Anlass, der Isaac Newton zur Entwicklung der Infinitesimalrechnung führte (gleichzeitig mit Leibniz).
Bestimmung des Massenmittelpunktes |
Aus den obigen Ausführungen gelangt man zu einem einfachen Verfahren zur annähernden Bestimmung des Massenmittelpunktes eines beliebigen starren Körpers. Dabei besteht die Näherung darin, die Abweichungen von Gravizentrum und Massenmittelpunkt und damit auch die Veränderungen der Lage des Gravizentrums bei Drehung des Körpers unberücksichtigt zu lassen: Hängt man den Körper an einem beliebigen Punkt auf, so liegt (in Ruhe) der (näherungsweise) Massenmittelpunkt auf der lotrechten Linie (= „Schwerlinie“) durch den Aufhängepunkt (blaue Linie im Bild rechts).
Wiederholt man dies mit einem anderen Aufhängepunkt, so findet man (näherungsweise) den Massenmittelpunkt als Schnittpunkt zweier solcher Geraden („Schwerlinien“). Dass ein solcher Schnittpunkt tatsächlich existiert und unabhängig von der Wahl der Aufhängepunkte ist, ist allerdings weniger trivial, als der erste Anschein glauben lässt.
Verblüffend ist die folgende Methode zur Bestimmung des Massenmittelpunktes eines schmalen und länglichen Gegenstandes (zum Beispiel Lineal oder Besen): Man lege den Gegenstand quer über die beiden auf gleicher Höhe nach vorne ausgestreckten Zeigefinger, was leicht möglich ist, solange die Finger noch weit voneinander entfernt sind. Nun bringe man langsam die Zeigefinger näher zueinander, bis sie sich berühren, wobei man sie stets auf möglichst gleicher Höhe hält. Sofern man dies langsam genug macht, gleitet der Gegenstand langsam über die Finger, ohne nach einer Seite zu kippen. Auf dem Finger, der dem Massenmittelpunkt näher liegt, lastet jeweils ein stärkerer Druck, was zu einer stärkeren Reibung führt. Das heißt, der Gegenstand gleitet vornehmlich über den anderen Finger. Hierdurch regelt sich das System so ein, dass bei beiden Fingern in etwa dieselbe Reibung vorliegt und der Massenmittelpunkt sich in ihrer Mitte befindet. Schließlich berühren sich also die Zeigefinger, der Gegenstand liegt nach wie vor waagerecht und der Schwerpunkt liegt über den beiden Fingern. Ist der Gegenstand allerdings zu sehr gebogen, ergibt sich der oben erwähnte Effekt und der Schwerpunkt liegt unterhalb des Unterstützungspunktes.
Siehe auch |
- Massenverteilung
- Massenlinie (Verfahren)
Literatur |
Die Physik: ein Lexikon der gesamten Schulphysik. Schülerduden, Bibliographisches Institut, Mannheim 1974, ISBN 3-411-01122-X, S. 367–368.
Einzelnachweise |
↑ D. Gross, W. Hauger, J. Schröder, und W.A. Wall: Technische Mechanik 1: Statik. Springer-Lehrbuch 2011, ISBN 9783642138058, S. 114.
↑ John McLester, Peter St. Pierre: Applied biomechanics: concepts and connections. Cengage Learning, 2008, ISBN 978-0-495-10586-2, S. 28.
↑ John Harris, Walter Benenson, Horst Stöcker: Handbook of physics. Springer, 2002, ISBN 978-0-387-95269-7, S. 94.
↑ Theo Koupelis, Karl F. Kuhn: In quest of the universe. Jones & Bartlett Learning, 13 April 2007, ISBN 978-0-7637-4387-1, S. 86.
↑ Philip Ball: Life's matrix: a biography of water. University of California Press, 2001, ISBN 978-0-520-23008-8, S. 37.